Mozart / Beethoven / Schumann

Streichquartette

Interpret: Schumann Quartett München

Verlag/Label: Townbeat Classics, 2 CDs

Rubrik: CDs

erschienen in: das Orchester 11/2010, Seite 73

 

Der künstlerischen Physiognomie eines Klangkörpers kann es nur förderlich sein, wenn sich Orchestermitglieder über ihre „Dienste“ hinaus der Kammermusik verschreiben. So ging 1994 aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters ein Streichquartett hervor, das sich den verpflichtenden Namen Schumann Quartett gab. Den vier Münchner Streichern – Konzertmeisterin Barbara Burgdorf (1. Violine), Traudi Pauer (2. Violine), Solobratscher Stephan Finkentey und Oliver Göske (Violoncello) – ist es wichtig, sich nicht nur dem klassischen, romantischen und frühmodernen Repertoire hinzugeben, sondern auch mit lebenden Komponisten zusammenzuarbeiten, um neuer Kammermusik zum Leben zu verhelfen. Ein Geben und Nehmen, das auf die Interpretation der großen Streichquartett-Literatur der Vergangenheit befruchtend rückwirkt.
Was man den drei Wunderwerken anhört, die das Schumann Quartett hier meisterhaft darbietet: Mozarts Dissonanzen-Quartett C-Dur KV 465, Beethovens Streichquartett D-Dur op. 18/3 und das letzte der Schumann-Quartette in A-Dur op. 41/3. Ein Programm, das gleichsam die Grundfeste der Gattungsgeschichte abbildet. Bekanntlich sind die sechs Haydn gewidmeten Streichquartette, die Mozart als Frucht langer und mühseliger Arbeit bezeichnete, eine schöpferische Antwort auf Haydns Sechser-Zyklus op. 33. Nach einer Aufführung des „distonierend“ beginnenden C-Dur-Quartetts schrieb der Widmungsträger an Leopold Mozart, sein Sohn sei der größte Komponist, den er von Person und Namen kenne: „Er hat Geschmack und über das große Compositionswissenschaft.“
Hautgout und Kennerschaft, Geist und Buchstaben der jeweiligen Komposition betreffend, sind auch dem Schumann Quartett wesenseigen. Feingespür für die vegetativen Kräfte der Musik, das Richtungsstreben der Phrasen, die Metamorphose der gestaltbildenden Elemente und die Beziehungsfäden im Satzinnern wie satz-übergreifend geben seinem Mozart-Spiel das Flair des „So und nicht anders“. Einzigartig in seiner apollinischen Anmut: das Andante cantabile.
Eigenschaften, welche die (klang)redegewandten „vier vernünftigen Leute“ auch für die intimen Streichquartett-Welten Beethovens und Schumanns prädestinieren. Wobei das scheinbar leichte Beethoven-Spiel der Münchner vergessen lässt, dass die Quartette op. 18 dem ausübenden Liebhaber damals wie heute zu schaffen machen und – wie ein zeitgenössischer Rezensent feststellte – „öfters und sehr gut gespielt“ werden müssen, „da sie sehr schwer aufzuführen und keineswegs populär sind“.
Auch hier gelingt den Münchnern ein besonderer Moment musical, der mich an einen Vers von Ungaretti erinnert: „Mi vedo abandonnato nell’infinito“ (Ich sehe mich verloren im Unendlichen) – gemeint sind die letzten Takte des Andante con moto. Geheimnisumhüllt auch das siebentaktige Andante espressivo mit dem zeichenhaften Quintfall-Motiv zu Beginn des dritten Schumann-Quartetts. Unaussprechlich zärtlich später eingie Stellen im Variationensatz wie auch in den entrückten Seelenlandschaften des Adagio molto. Mit einem Wort: Diese Doppel-CD ist ein kammermusi­kalisches Ereignis.
Lutz Lesle

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